Die Dolomiten sind wie ein riesiger Schatzkasten, der Tag für Tag neue wertvolle, wissenschaftliche Erkenntnisse offenbart. Eine Universität unter freiem Himmel für Geologen, genauso wie eine unerschöpfliche Wissensreserve für Paläozoologen und Paläobotaniker. Dazu gehören Evelyn Kustatscher und Hendrik Nowak vom Museum für Naturwissenschaften in Bozen und Elke Schneebeli-Hermann von der Universität Zürich, die kürzlich in der Zeitschrift Nature Communications die Ergebnisse ihrer Forschungen zum Massensterben vor 252 Millionen Jahren, in der Perm-Trias-Zeit, veröffentlicht haben (No mass extinction for land plants at the Permian-Triassic transition). Die Studie zeigt auf, dass der Begriff „Massensterben“ in Wirklichkeit nur im Hinblick auf die Tierwelt berechtigt ist und die Pflanzen grundsätzlich nicht davon betroffen waren.
Von den Dolomiten zur Antarktis
Die Südtiroler Forscher haben die Spuren der Zeit untersucht, die in den Schluchten und entlang der Dolomitenkämme hinterlassen wurden: von Cortina bis Osttirol, von den Ladinischen Tälern nach Kärnten, von den friaulischen Dolomiten bis zum San Pellegrino Pass und zur Bletterbachschlucht. Die in den Dolomiten gesammelten Daten wurden durch Studien aus aller Welt ergänzt, von der Antarktis über Russland bis nach China.
Die Analyse von rund 34.000 Aufzeichnungen von Sporen und Pollen und mehr als 8.000 Datensätzen von fossilen Landpflanzen der Perm-Trias-Region, vereint mit dem Studium der vorhandenen Literatur und verschiedener Sammlungen, hat zu einer überraschenden Schlussfolgerung geführt. Wo man möglicherweise eine deutliche Diskontinuität der Anzahl der überlebenden Gattungen oder Familien erwartet hätte, wurde in Wirklichkeit eine Kontraktion von weniger als zwanzig Prozent festgestellt (im Gegensatz zu den in früheren Studien angenommenen fünfzig Prozent).
Ein im Wandel begriffenes Paradigma
Die Wissenschaft hat sofort mit großem Interesse auf die Entdeckung reagiert. Es handelt sich in der Tat um eine jener Wendungen, die das Paradigma widerlegen könnte, gemäß welchem epochale Phänomene wie das Massensterben interpretiert wurden, das die Tierwelt, insbesondere die Meeresfauna, betraf. Selbstverständlich sind tiefgreifende Unterschiede zwischen den verschiedenen untersuchten, geografischen Gebieten feststellbar. Im Dolomitengebiet ist die Aussterbensquote höher, während in Regionen wie China oder Südafrika, in denen günstigere Überlebensbedingungen herrschten, genanntes Phänomen wesentlich glimpflicher ablief.
Eine der zukünftigen Entwicklungen der Studie, die aus einem Euregio-Forschungsprojekt hervorgegangen ist, an dem das Muse von Trient, das Naturmuseum von Bozen und die Universität Innsbruck beteiligt sind, soll ein besseres Verständnis der in den Dolomiten beobachteten Ergebnisse ermöglichen. Ein weiterer Beweis für den Wert der Dolomiten als wissenschaftliches Freiluftlabor.
„Obwohl die Dolomiten seit über 200 Jahren von zahlreichen Forschern weltweit untersucht werden, hüten sie noch überraschend viele Geheimnisse“ so behauptet die Forscherin Evelyn Kustatscher. „Es ist beeindruckend, dass man durch die Untersuchung ihrer Fossilien noch so viel entdecken kann und dass diese Berge so bedeutsam sind, um nicht nur die Dolomitenentstehung, sondern auch die Entwicklung der Erdgeschichte zu verstehen.“