Rekord-Kernbohrung zur Erforschung des Klimawandels

Mit Prof. Carlo Barbante von der Universität Ca’ Foscari in Venedig, Senior Associate am Institut für Polarwissenschaften des Nationalen Forschungsrats (Cnr-Isp), sprechen wir über die Bedeutung des von ihm geleiteten Projekts „Beyond EPICA – Oldest Ice“ in der Antarktis und dessen außergewöhnliche Ergebnisse für die Klimageschichte.

2800 Meter Eis für die Erforschung von 1,2 Millionen Jahren

Ein in der Antarktis entnommener Eisbohrkern hat eine Tiefe von 2800 Metern erreicht und ermöglicht einzigartige Einblicke in die Klima- und Atmosphärengeschichte der Erde – zurück bis zu einem Rekordzeitraum von 1,2 Millionen Jahren.

Dies ist das erste, aber vielversprechende Ergebnis der vierten Antarktis-Expedition des Projekts „Beyond EPICA – Oldest Ice“, das von der Europäischen Kommission finanziert und vom Institut für Polarwissenschaften des Nationalen Forschungsrats Cnr-Isp koordiniert wird. Im entlegenen Forschungsgebiet von Little Dome C arbeiteten Wissenschaftler aus zwölf Institutionen aus zehn europäischen Ländern zusammen. In den letzten vier Jahren haben sie über 200 Tage lang Bohrungen und Analysen im zentralen Hochland der Antarktis auf 3200 Metern Meereshöhe, bei einer durchschnittlichen Sommertemperatur von -35 °C durchgeführt.

Prof. Barbante, warum ist diese Bohrung so bedeutend?

„Ein früheres Projekt, das 2005 abgeschlossen wurde, ermöglichte es, die Klimageschichte bis zu 800.000 Jahre zurückzuverfolgen; genau bis zu einer wichtigen Veränderung. Vor diesem Zeitpunkt wechselten warme und kalte Zeiten, beeinflusst durch die Neigung der Erdachse, etwa alle 40.000 Jahre. Danach begannen die Schwankungen jedoch, auf Zyklen von rund 100.000 Jahren überzugehen. Bis heute ist unklar, warum es zu diesem Wandel kam. Deshalb war es essenziell, weiterzuforschen. Nach einer langen Suche nach einem geeigneten Bohrstandort haben wir 2020 mit den neuen Bohrungen begonnen.“

Eignet sich nicht jede Oberfläche der Antarktis für solche Bohrungen?

„Die polare Eiskappe ist so groß und schwer, dass der untere Teil durch den Eisstrom an den Rändern herausgedrückt wird. Diesmal konnten wir jedoch bis zum darunterliegenden Felsgestein vordringen und so einen Eiskern gewinnen, der 1,2 Millionen Jahre alt ist – möglicherweise werden die Laboranalysen sogar noch weiter in die Vergangenheit reichen. Weltweit gibt es sechs weitere Forschungskonsortien aus den USA, China, Russland, Australien, Südkorea und Japan, die ebenfalls nach geeigneten Standorten für ähnliche Untersuchungen suchen.“

Was man von der Analyse der Proben erwartet

Warum ist das Interesse an diesen Proben so groß? Was verrät Eis, das über eine Million Jahre alt ist?

„Es hilft uns, die zukünftige Klimaentwicklung besser zu verstehen! Wir analysieren die Vergangenheit, um Klimamodelle zu verbessern, mit denen sich Prognosen für die Zukunft erstellen lassen. Damit diese Vorhersagen zuverlässig sind, müssen die Modelle selbst so genau wie möglich sein – und das können wir erreichen, indem wir sie anhand von Daten aus langen Zeiträumen der Vergangenheit testen.“

Also überprüft man anhand vergangener Klimaveränderungen die Zuverlässigkeit der Modelle, um sie dann auf die Zukunft anzuwenden?

„Genau. Allerdings gibt es auch Faktoren im Klimasystem, die nur schwer vorhersehbar sind – seltene, aber gravierende Ereignisse, die in ihrer Häufigkeit zunehmen.“

Können Sie ein Beispiel nennen?

„In einigen Regionen der Antarktis verlieren Gletscher an Masse und das in einem Ausmaß, das wir so nicht erwartet hatten.“

Wie geht es mit Beyond EPICA – Oldest Ice weiter?

„Die Stichproben sind derzeit auf dem Weg nach Neuseeland und werden anschließend nach Ravenna transportiert, von wo aus sie an verschiedene Labore verteilt werden. Nächstes Jahr beginnt außerdem eine weitere Bohrung, die sich auf das darunterliegende Felsgestein konzentrieren wird – ein enorm wichtiger Schritt.“

Handeln … und zwar schnell

Könnten die Ergebnisse dieser Analysen auch neue Erkenntnisse über die alpine Kryosphäre liefern? Viele Gletscher unter 3000 Metern Höhe werden bis 2050 verschwunden sein.

„Ja, absolut! Alles trägt dazu bei, unser Verständnis der Klimasysteme zu vertiefen. In diesem Zusammenhang erscheint demnächst eine Studie in der Fachzeitschrift Climate of the Past, die sich mit der Gletscherschmelze in den Dolomiten in den letzten 40 Jahren befasst. Autor ist unser Doktorand Andrea Securo (Universität Venedig / ISP-CNR).“

Es ist immer wieder erschreckend, wie sich die Zeitskalen verändern, wenn man die Klimadaten seit Beginn der Industrialisierung betrachtet. 2024 war laut dem EU-Klimadienst Copernicus das wärmste Jahr seit Beginn der wissenschaftlichen Aufzeichnungen. Sie engagieren sich stark für die Aufklärung der Öffentlichkeit – aber gibt es überhaupt genug Menschen, die zuhören?

„Es gehört zu unserer Aufgabe – im Rahmen unserer Möglichkeiten. Klassische Klimawandelleugner gibt es kaum noch, dafür aber zunehmend das, was ich ‚Neo-Leugner‘ nenne: Menschen, die den Klimawandel zwar anerkennen, aber glauben, es bliebe noch genügend Zeit zu handeln. Doch das ist ein Trugschluss.“