4. Die Gletscher der Dolomiten

Wer die Beziehungen zwischen der Dolomitenlandschaft und den Gletschern verstehen will, muss etwa 20.000 Jahre in die Vergangenheit blicken, als die Gletscher sämtliche Alpentäler bedeckten, also auch jene der Dolomiten. Damals erreichten die Eismassen oft Mächtigkeiten von über 1500 m, in der Gegend von Bozen sogar bis zu 2000 m. Chronologisch befinden wir uns im sogenannten letzten eiszeitlichen Maximum, als die Gletscher ihre größte Ausdehnung hatten.

Il ghiacciaio del Sorapis nella foto di Matteo Visintainer

Westlicher Sorapiss-Gletscher, ph. Matteo Visintainer

Nur die höchsten Gipfel ragten aus diesem „Eismeer“ als isolierte Spitzen (nunatak) hervor. Die Gletscher der großen Dolomitengruppen verbanden sich zu einem weit verzweigten Netz, das sich von einem Tal zum anderen erstreckte. Einige Gletscher flossen über die heutigen Dolomitenpässe hinweg, die damals als natürliche Übergänge dienten. Die besondere Vielfalt und Verteilung der Gesteine in den Dolomiten hat es ermöglicht, die Bewegungsrichtung der Gletscher genauer zu bestimmen. Durchgeführt wurden spezielle Analysen, die nicht nur die Geländemorphologie berücksichtigen, sondern auch die Verteilung von mitgeführten Gesteinsablagerungen, sowohl innerhalb der Täler als auch über deren Grenzen hinweg. So konnten einige Transfluenzen identifiziert werden, etwa vom Etsch- in das Piave-Becken über das Grödner Joch und den San-Pellegrino-Pass.

Die deutlichsten Spuren der glazialen Morphogenese, die bis heute sichtbar sind, stammen vor allem aus den späteren Phasen des Gletscherrückzugs und zeitweise auch aus erneuten Vorstößen der Eismassen. Diese Prozesse verliefen über Jahrtausende hinweg schubweise und nicht kontinuierlich während der Späteiszeit (late glacial), die vor rund 17.000 Jahren begann. Typisch für den allmählichen Rückzug der Gletscherzungen in den Dolomiten sind Moränenwälle, Geländestufen, Trogtäler, Hängetäler, Rundhöcker, scharfkantige Felsgrate und Gletscherkessel.

Letztere kommen besonders häufig in den oberen Talbereichen von acht der neun Dolomitenteilgebiete vor, die heute zum Welterbe gehören. Genau dort haben sich die meisten der heute noch existierenden kleinen Gletscher zurückgezogen – die letzten Überreste jenes gewaltigen „Eismeers“, das vor 20.000 Jahren die markanten Formen der Bleichen Berge unter sich begrub. Eine Ausnahme bildet das kleine Teilgebiet Bletterbach (Teilgebiet 8), eine tief eingeschnittene Schlucht, die ins Etschtal mündet. Aufgrund seiner Entstehung und Höhenlage fehlen hier sichtbare Spuren der glazialen Morphogenese. Von den übrigen acht Teilgebieten sind es vor allem Pelmo – Croda da Lago (Teilgebiet 1), Marmolada (Teilgebiet 2), Pale di San Martino – San Lucano – Dolomiti Bellunesi – Vette Feltrine (Teilgebiet 3), Nördliche Dolomiten (Teilgebiet 5) und Dolomiti di Brenta (Teilgebiet 9), in denen heute noch Gletscher oder Glacieret zu finden sind.

Lesen Sie hier im Detail weiter: Die Gletscher des Dolomiten UNESCO Welterbes, prof. Alberto Carton